Bei Gehörlosen kann nach Abschluss der Gehörlosenschule und einer Ausbildung nicht aufgrund typischer Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere beeinträchtigter Kommunikationsfähigkeit, vom Vorliegen des Merkzeichens B ausgegangen werden. Sofern früh ertaubte, aber des Lesens und Schreibens kundige Gehörlose unbekannte Wege erstmals zurückzulegen haben, können sie im Internet frei zugängliche Stadtpläne und genaue Wegbeschreibungen ebenso nutzen wie aktuell die auf den handelsüblichen Smartphones verfügbaren Navigationsgeräte mit GPS-Peilung, die sogar eine Ortung ermöglichen.
Bei Gehörlosen kann nach Abschluss der Gehörlosenschule und einer Ausbildung nicht aufgrund typischer Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere beeinträchtigter Kommunikationsfähigkeit, vom Vorliegen des Merkzeichens B ausgegangen werden. Sofern früh ertaubte, aber des Lesens und Schreibens kundige Gehörlose unbekannte Wege erstmals zurückzulegen haben, können sie im Internet frei zugängliche Stadtpläne und genaue Wegbeschreibungen ebenso nutzen wie aktuell die auf den handelsüblichen Smartphones verfügbaren Navigationsgeräte mit GPS-Peilung, die sogar eine Ortung ermöglichen.
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung des Merkzeichens „Berechtigung für eine ständige Begleitung“ (B) streitig.
Die 1950 geborene Klägerin ist seit ihrer Kindheit aufgrund einer Miliartuberkulose mit nachfolgender Meningitis taubstumm. Sie besuchte von der ersten bis neunten Klasse die Gehörlosenschule und war seitdem als Hilfsarbeiterin berufstätig (Kündigung 2011).
Das ehemalige Versorgungsamt H. hatte bei der 1950 geborenen Klägerin nach Beiziehung des Befundberichts des Dr. H., Chefarzt am Kinderkrankenhaus Bad F.-J., vom 05.04.1955 (deutliche Schwerhörigkeit) sowie der Ärztlichen Mitteilung des Dr. K. vom 15.05.1964 (nahezu Taubheit durch tuberculitische Meningitis als Kind) und unter Berücksichtigung der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Chirurgen Dr. B., in welcher eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit ausgeprägter Sprachstörung mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 berücksichtigt worden war, mit Bescheid vom 19.11.1976 („an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit ausgeprägter Sprachstörung“), ergänzt durch den Bescheid vom 08.01.1986 („Taubheit beidseits“) den GdB mit 100 festgestellt. Ferner hatte das Versorgungsamt das Merkzeichen „Rundfunkgebührenbefreiung“ (RF) sowie mit Bescheid vom 29.01.2002 das Merkzeichen „Gehörlosigkeit“ (Gl) festgestellt.
Am 22.04.2010 beantragte die Klägerin die Feststellung des Merkzeichens B. Das zuständig gewordene Landratsamt H. lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28.05.2010 ab und führte zur Begründung aus, zur Mitnahme einer Begleitperson seien schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln in Folge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen seien. Diese Voraussetzung liege bei der Klägerin nicht vor.
Hiergegen legte die Klägerin am 17.06.2010 unter Vorlage des Attestes des Allgemeinmediziners Dr. Sch. vom 09.06.2010 (aufgrund der von Kindheit an bestehenden Taubheit sei der Erfolg der Erlernung einer für das Umfeld verständlichen Sprache sehr mäßig, die Klägerin könne sich in fremdem Umfeld nicht hinreichend verständlich machen, sie benötige bei Entfernung von ihrem angestammten Wohn- und Arbeitsbereich unbedingt die Begleitung ihres ebenfalls taubstummen Ehegatten) Widerspruch ein. Dr. H. führte in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 02.09.2010 aus, die Klägerin sei bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln nicht regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen. Ferner seien das Merkzeichen B berechtigende Orientierungsstörungen im Erwachsenenalter nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion, beispielsweise einer Sehbehinderung oder geistigen Behinderung gegeben. Anhalt hierfür bestehe bei der Klägerin nicht. Schwierigkeiten mit der sprachlichen Verständigung stellten keine Begründung für die Feststellung des Merkzeichens B dar. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.09.2010 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch zurück. Es führte zur Begründung aus, die Klägerin sei trotz ihrer Behinderung durchaus noch in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel überwiegend ohne Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels zu benutzen. Es bestehe ferner auch kein Anhalt, dass die Klägerin zum Ausgleich von Orientierungsstörungen fremde Hilfe benötige. Solche Orientierungsstörungen seien im Erwachsenenalter nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion anzunehmen, was beispielsweise bei einer Sehbehinderung oder einer geistigen Behinderung gegeben sei.
Hiergegen hat die Klägerin am 20.10.2010 Klage beim Sozialgericht H. erhoben. Sie hat dargelegt, sie sei im Sinne einer Taubstummheit sprach- und hörgestört. Sie könne sich weder in der Öffentlichkeit verständlich machen noch irgendwelche Wünsche äußern. Sie sei auf Bahnsteigen oder im öffentlichen Nahverkehr völlig hilflos, da sie beispielsweise Lautsprecheransagen nicht verstehen könne und generell erhebliche Orientierungsprobleme habe. Insofern liege durchaus eine Störung der Ausgleichsfunktion vor, da sie die durch Taubheit und Sprechbehinderung auftretenden Wahrnehmungsstörungen durch andere Sinneswahrnehmungen nicht ausgleichen könne. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass sich durch die seit der Kindheit bestehende Taubstummheit eine Rückbildung des gesamten kommunikativen Verhaltens und der Orientierung in fremder Umgebung ausgebildet habe, da sie hierbei immer auf die Mithilfe Dritter, zuletzt ihres Ehegattens oder ihrer Kinder, verlassen habe. Sie hat ferner ausgeführt, durch das Merkzeichen Gl werde lediglich der Hörverlust berücksichtigt, nicht jedoch die zusätzliche, zumindest genauso stark ausgeprägte Behinderung des Sprechvermögens. Diese Sprachstörung sei bei ihr derart stark ausgeprägt, dass sie von der Öffentlichkeit nicht verstanden werden könne. Sie sei deswegen beispielsweise im öffentlichen Nahverkehr nicht in der Lage, Fragen des Personals zu beantworten. Sie könne auch nicht adäquat auf Veränderungen der Anzeigetafeln reagieren, da sie diese nicht entsprechend deuten oder beim Bahnsteigpersonal Rücksprache nehmen könne. Diese Sprachstörung stehe damit der Sehbehinderung als Musterbeispiel in vollem Umfange gleich. Bei der Benutzung der Straßenbahn oder von Bussen, in denen die Haltestationen lediglich durch Ansagen vermittelt würden, sei sie ohne Begleitperson völlig hilflos. Dies werde durch die bereits beschriebenen Orientierungsstörungen noch verstärkt. Im Übrigen hat die Klägerin dargelegt, für die Feststellung des Merkzeichens B sei nicht erforderlich, dass zusätzlich zur Gehörlosigkeit eine Sehbehinderung oder geistige Behinderung vorliegen müsse. Außerdem könne sie nur eingeschränkt Navigationssysteme benutzen, da ihr deren Ansagen unverständlich seien und sie sich auch keine telefonische Hilfe einholen könne, wenn sie sich verirrt habe. Deswegen sei sie auch nur in der Lage, mit dem Auto äußerst kurze Strecken zu fahren, die sie zuvor in Begleitung mehrfach zurückgelegt habe und bei der ihr die gesamten Wegstrecken vollkommen geläufig seien. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass sie keinen Berufsabschluss erreicht habe. Sie habe lediglich die nicht mehr existierende Gehörlosenschule B. von der 1. bis zur 9. Klasse absolviert. Seither sei sie in einer angelernten Beschäftigung für einfachste Tätigkeiten erwerbstätig.
Der Beklagte hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ausgeführt, im Regelfall wirke sich die Störung der Kommunikationsfähigkeit nicht auf die Orientierungs- und damit Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr aus. Bei einem vor Spracherwerb Ertaubten, der die Gehörlosenschule abgeschlossen und das 16. Lebensjahr vollendet habe, lägen die Voraussetzungen für das Merkzeichen B nicht vor. Eine von dieser Regel abweichende zusätzliche Funktionsstörung, die dazu führen würde, dass die Klägerin bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln eine ständige Begleitung benötige und regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen wäre, liege nicht vor. Orientierungsstörungen, die ständige Hilfen zum Ausgleich erforderlich machten, seien beispielsweise bei einer Sehbehinderung oder einer geistigen Behinderung denkbar. Die hier gegebene Hör-Sprachstörung lasse sich mit diesen Behinderungen nicht vergleichen.
Mit Gerichtsbescheid vom 24.11.2011 hat das Sozialgericht die Klage nach vorangegangener Anhörung abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts stehe einem vor Spracherwerb Ertaubten, der die Gehörlosenschule abgeschlossen und das 16. Lebensjahr vollendet habe, im Regelfall kein Anspruch auf das Merkzeichen B zu. Dies gelte sogar für die Dauer einer späteren Berufsausbildung. Die Klägerin unterfalle diesem Regelfall, da sie erfolgreich die Gehörlosenschule beendet und das 16. Lebensjahr vollendet habe. Inwieweit die von der Klägerin besuchte Gehörlosenschule nicht einer üblichen Gehörlosenschule entsprochen haben und dies zu einer abweichenden Beurteilung hinsichtlich des Merkzeichens B führen solle, sei nicht nachvollziehbar dargelegt worden. Ferner sei die Klägerin nicht zusätzlich sehbehindert oder geistig behindert. Das Sozialgericht hat ferner ausgeführt, der seit Geburt bestehenden Gehörlosigkeit sei sozusagen immanent, dass eine normale sprachliche Kommunikation mit Außenstehenden mangels Spracherwerb und fehlender Hörfähigkeit nicht ohne Weiteres möglich sei. Sofern der Gesetzgeber darin aber stets eine Begründung für die Notwendigkeit einer Begleitperson gesehen hätte, so wäre dies entsprechend geregelt worden. Das Gegenteil sei jedoch der Fall. Im Falle der Gehörlosigkeit müsse für die Annahme der Voraussetzungen des Merkzeichens B eine weitere Beeinträchtigung im Sinne einer zusätzlichen oder anderen Behinderung vorliegen, die die Orientierungsfähigkeit erheblich beeinträchtige. Zwar seien eine Sehbehinderung oder geistige Behinderung keine abschließend aufgezählten Behinderungen, die das Merkzeichen B bedingten. Dass hierunter aber auch die Beeinträchtigungen aufgrund der Gehörlosigkeit fallen sollten, sei nicht zutreffend, da diese ja schon die Begründung für den ersten Teil der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens B darstellten. Den daraus resultierenden Nachteilen habe der Gesetzgeber mit der Einführung des Merkzeichens Gl Rechnung getragen.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 29.11.2011 zugestellten Gerichtsbescheid des Sozialgerichts hat die Klägerin am 29.12.2011 Berufung eingelegt. Es sei zwar richtig, dass sie eine Gehörlosenschule besucht habe. Richtig sei aber auch, dass die von ihr besuchte Schule nicht denjenigen Gehörlosenschulen vergleichbar sei, die die Kläger in den vom Bundessozialgericht bereits entschiedenen Verfahren besucht hätten. Die Klägerin hat ferner ausgeführt, Verspätungen von Zügen, daraus resultierende alternative Reisemöglichkeiten, Gleisänderungen, Warnungen vor Gefahren, die dazu führten, dass Züge verlassen werden müssten oder nicht betreten werden dürften, und Verbindungsmöglichkeiten würden bei öffentlichen Verkehrsmitteln in aller Regel über Lautsprecher verkündet. Insbesondere bei Gleisänderungen und Aufzeigen von alternativen Reisemöglichkeiten sei die danach entstehende Situation durch eine hektische Betriebsamkeit gekennzeichnet, in der sie sich aufgrund ihrer Artikulationsschwierigkeiten überhaupt nicht zurecht finden könne. Sie sei deshalb gerade in Ein- und Ausstiegssituationen ohne eine Begleitperson hoffnungslos überfordert.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts H. vom 24. November 2011 und den Bescheid des Beklagten vom 28. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, das Merkzeichen „Berechtigung für eine ständige Begleitung“ festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit der Zuerkennung des Merkzeichens Gl sei nicht automatisch die Zuerkennung des Merkzeichens B verbunden. Die Klägerin habe nicht nachvollziehbar dargelegt, weshalb die von ihr besuchte Gehörlosenschule nicht einer üblichen Gehörlosenschule entsprochen haben solle. Zudem sei die Klägerin nach Abschluss der Gehörlosenschule berufstätig gewesen.
Nachdem die Klägerin zunächst ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt hatte, hat sie ausgeführt, dass mit einer Entscheidung noch abgewartet werden und ein Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt werden solle, da sie über ehemalige Schulfreunde erfahren habe, dass ein ehemaliger Lehrer der Gehörlosenschule noch lebe, der im Detail Angaben hierzu machen könne, wie die von ihr besuchte Gehörlosenschule beschaffen gewesen sei.
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 21. Februar 2013 unter Hinzuziehung eines Gebärdendolmetschers befragt. Hinsichtlich der Einzelheiten ihrer Angaben wird auf die Niederschrift vom gleichen Tag verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet. Denn das Sozialgericht hat mit zutreffender Begründung dargelegt, dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen B nicht vorliegen. Die angefochtenen Bescheide sind daher rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Feststellung von Merkzeichen richtet sich nach den Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Auf Antrag des behinderten Menschen treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden, wenn neben dem Vorliegen einer Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).
Zu diesen Merkmalen gehört die Notwendigkeit ständiger Begleitung im Sinne des § 146 Abs. 2 SGB IX. Zur Mitnahme einer Begleitperson sind schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind (§ 146 Abs. 2 SGB IX).
Der seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008“ (AHP) getretenen Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) lassen sich im Ergebnis keine weiteren Beurteilungskriterien für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des begehrten Nachteilsausgleichs entnehmen. Denn die VG sind hinsichtlich der getroffenen Regelungen für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche G, B, „außergewöhnliche Gehbehinderung“ (aG), Gl und „Blindheit“ (Bl) unwirksam, da es insoweit an einer gesetzlichen Verordnungsermächtigung fehlt. Eine solche Ermächtigung findet sich nämlich - mit Ausnahme des Merkzeichens „Hilflosigkeit“ (H) - weder in § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis zum 30.06.2011 beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der Fassung ab dem 01.07.2011, noch in sonstigen Regelungen des BVG oder des SGB IX (Urteile des Senats vom 09.06.2011 - L 6 SB 6140/09, vom 04.11.2010 - L 6 SB 2556/09; Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 09.05.2011 - L 8 SB 2294/10, vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08, vom 24.09.2010 - L 8 SB 4533/09; Dau, jurisPR-SozR 4/2009, Anm. 4).
Der Senat stellt daher auf die von der Rechtsprechung für die Feststellung des Merkzeichens B entwickelten Kriterien ab. Danach ist eine ständige Begleitung bei Schwerbehinderten grundsätzlich dann notwendig, wenn sie bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, also beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt, infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind oder wenn Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen, beispielsweise bei einer Sehbehinderung oder einer geistigen Behinderung, erforderlich sind (Bayerisches LSG, Urteil vom 20.10.2010 - L 16 SB 72/09 - juris Rz. 22; BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 9 SB 4/02 R - juris Rz. 22).
Bei dem Personenkreis der Gehörlosen kann nach Abschluss der Gehörlosenschule und jedenfalls dem Abschluss einer Ausbildung nicht aufgrund typischer Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere beeinträchtigter Kommunikationsfähigkeit, vom Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen B ausgegangen werden. Eine solche Annahme wäre bei gehörlosen Menschen in aller Regel dann gerechtfertigt, wenn sich ihre Störung der Kommunikationsfähigkeit auf ihre Orientierungsfähigkeit auswirken würde. Davon kann aber nicht ausgegangen werden. Denn die tiefgreifenden Kommunikationsstörungen, an der Gehörlose typischerweise leiden, wirken sich in der Regel längstens bis zum Abschluss der Berufsausbildung aus, weil Wahrnehmung, Erkenntnis und Lernen durch die Sprache vermittelt und gesteuert werden. Bei früh ertaubten, aber des Lesens und Schreibens kundigen Gehörlosen ist nicht davon auszugehen, dass sie gehäuft auf eine Kommunikation mit den Mitmenschen angewiesen sind. Denn auch der Gehörlose kann schriftliche Informationen zu Rate ziehen. Wo sich diese als nicht ausreichend erweisen sollten, wird er regelmäßig in der Lage sein, Passanten und mitfahrende Personen schriftlich um Auskunft zu bitten. Ohnehin gilt, dass für die gewöhnlichen und eingeübten Wege, welche nach der allgemeinen Lebenserfahrung die Mehrzahl der zurückgelegten Wegstrecken ausmachen, eine Kommunikation nur im Ausnahmefall erforderlich ist (so BSG, Urteil vom 12.11.1996 - 9 RVs 5/95 - SozR 3-1300 § 48 Nr. 57). Sofern früh ertaubte, aber des Lesens und Schreibens kundige Gehörlose - wie die Klägerin - unbekannte Wege erstmals zurückzulegen haben, sind sie ebenfalls nicht gehäuft auf Kommunikation mit den Mitmenschen angewiesen, sondern können im Internet frei zugängliche Stadtpläne und genaue Wegbeschreibungen ebenso nutzen wie aktuell die auf den handelsüblichen Smartphones verfügbaren Navigationsgeräte mit GPS-Peilung, die sogar eine Ortung ermöglichen. Sollte der Gehörlose trotz all dieser möglichen Hilfen sein Wegeziel gelegentlich verfehlen, kann gleichwohl noch nicht von einer Störung der Orientierungsfähigkeit gesprochen werden (BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 9 SB 4/02 R - juris Rz. 22; BSG, Urteil vom 12.11.1996 - 9 RVs 5/95 - juris, Rz. 24 und 28; siehe dazu Vogl in jurisPK-SGB IX, § 146, Rz. 21).
Vorliegend gilt im Fall der Klägerin nichts anderes. Sie hat nach eigenen Angaben die 1. bis 9. Klasse der Gehörlosenschule in B. besucht. Anhaltspunkte dafür, dass es sich dabei nicht um eine solche Gehörlosenschule gehandelt hat, die die Kläger in den vom Bundessozialgericht entschiedenen Fällen besucht haben, hat der Senat nicht. Im Übrigen kommt es nicht entscheidend darauf an, welche Schule die Klägerin besucht hat, sondern welche Fähigkeiten sie tatsächlich besitzt, um die durch die Gehörlosigkeit auftretenden Schwierigkeiten bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln auszugleichen, nämlich ob sie des Lesens und Schreibens kundig ist. Der Senat hat sich in der mündlichen Verhandlung davon überzeugen können, dass die Klägerin durchaus in der Lage ist, selbständig ohne ständige Begleitung öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Dies hat sie in die Lage versetzt, über Jahre, wenn auch in keinem Ausbildungsberuf, berufstätig zu sein. Ferner weist der Senat darauf hin, dass die Klägerin eine Fahrerlaubnis besitzt und über viele Jahre in der Lage war, ihre Arbeitsstelle mit ihrem Auto selbstständig aufzusuchen. Darüber hinaus erschließt sich dem Senat nicht, worauf es aber ebenfalls nicht ankommt, wie der gleichfalls taubstummen Ehemann mit gleicher Behinderung gerade das geltend gemachte Kommunikationsdefizit als Begleitperson ausgleichen soll.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.